«Wir sind uns bewusst, dass uns über all die Generationen hinweg neben inspirierten, engagierten und unternehmerischen Familienmitgliedern auch immer die notwendige Portion Glück begleitete.»

Herr David J. Bosshard, Sie sind CEO von Clienia, der grössten Privatklinikgruppe für Psychiatrie und Psychotherapie in der Schweiz. Und Sie, Herr Michael Schumacher, bringen Ihre strategischen und operativen Erfahrungen als Verwaltungsrat in das Unternehmen ein. Was bedeutete es damals für Sie, ihr Familienunternehmen bereits in der 5. Generation übernehmen zu können?

David J. Bosshard: «Unser Erbe ist in erster Linie ein grosses Geschenk, das wir von den Vorgängergenerationen erhalten haben. Dieses über 130 Jahre alte Vermächtnis beinhaltet aber auch eine grosse Verantwortung, der wir uns gerne stellen. Das Unternehmen soll nachhaltig stabil bleiben, damit wir es an die nachfolgende, 6. Generation weiter geben können.»

Wie wollen Sie dies gewährleisten?

Michael Schumacher: «Uns ist natürlich bewusst, dass wir den Wert dieses Geschenks nur durch geschicktes Unternehmertum und weitsichtiges Denken erhalten können. Beides sind die Grundvoraussetzungen dafür, dass wir weiterhin einzigartig und führend in unseren Geschäftsfeldern Psychiatrie und Immobilien bleiben.»

David J. Bosshard: «Apropos weitsichtigem Denken: Wir haben zur Sicherstellung unseres Erbes eigens eine Familienverfassung formuliert, die das Wesen und das Wirken unserer Familie definiert. Das Dokument wurde zwar primär für uns selbst verfasst, gleichzeitig legt es aber auch konkrete Grundlagen für die strategische Ausrichtung des Unternehmens und damit auch die Handlungsbasis für den Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung fest.»

«Wir haben zur Sicherstellung unseres Erbes eigens eine Familienverfassung formuliert, die das Wesen und das Wirken unserer Familie definiert.»

Was dürfen wir uns unter einer Familienverfassung vorstellen? Was steht da drin?

Michael Schumacher: «Unsere Familienverfassung beginnt wie jede Verfassung – mit den Menschen, für die sie geschaffen wurde – also mit den Familienmitgliedern. Dieses Kapitel regelt die Prinzipien der Eignerschaft und der Eigentumsnachfolge mit allen Ehe-, Erb-, Schenkungs- und Vorsorgeverträgen.»

David J. Bosshard: «Dann definiert die Verfassung von der Eignerstrategie über die Geschäftsfelder, die Unternehmensstrategie, die Erfolgsfaktoren und die Leitlinien bis hin zur Investitionspolitik alles, was für die Eigner von Bedeutung ist. Und bleibt.»

Michael Schumacher: «Ein weiteres wichtiges Kapitel ist die Corporate Governance – also die Firmenstruktur, Statuten, Generalversammlung sowie das Zusammenspiel von Familie, Verwaltungsrat und Geschäftsleitung. Das geht so weit, dass wir auch Entscheidungsprozesse, Zeichnungsberechtigungen und die Bedingungen für eine Mitarbeit im Unternehmen festlegen.»

David J. Bosshard: «Und last but not least sorgt die Family Governance für Klarheit in Bezug auf den Umgang der Familienmitglieder untereinander und unseren gemeinsamen Auftritt nach aussen.»

Eine Verfassung als Gesamtheit der Grundsätze, welche die Rechte und Pflichten der Verfasser festlegt, ist meist etwas Statisches. Doch das wirkliche Leben ist ein dynamischer Prozess. Trägt Ihre Familienverfassung diesem Umstand Rechnung?

Michael Schumacher: «Absolut. Wir sind uns bewusst, dass sich sowohl das Unternehmen als auch die Familie wandeln. Darum wird unsere Verfassung periodisch an der Familienversammlung überprüft, weiterentwickelt und den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Gegebenheiten angepasst. Die in der Familienverfassung definierten Werte und Prinzipien dienen uns als Richtschnur, die das unternehmerische Denken und Handeln fördern.»

Stichwort «unternehmerisches Denken und Handeln»: Ihre Vorfahren waren beseelt vom Umgang mit psychisch kranken Menschen. Ihre Lebenswerke reihen sich wie eine Perlenkette aneinander. Wie gibt man ein solches Engagement und die Empathie für psychisch Kranke an eine nächste Generation weiter?

David J. Bosshard: «Die Antwort auf diese komplexe Frage ist in der Frage selbst enthalten. Wenn Sie von Geburt an mit beseelten Persönlichkeiten aufwachsen, wenn Ihnen die Familie eine gewisse Geisteshaltung vorlebt und ihre kulturelle Prägung weitergibt, wenn Sie schon früh erkennen, dass Ihre Familie bei der Behandlung und Betreuung von psychisch erkrankten Menschen grosse Befriedigung findet, dann ist der Weg nicht mehr weit, das Lebenswerk Ihrer Vorfahren mit Begeisterung weiterzuführen.»

«Die Tätigkeit in der Psychiatrie bringt für uns einen hohen emotionalen Mehrwert.»

Michael Schumacher: «Darum dürfte es Sie auch nicht weiter erstaunen, dass für uns die Tätigkeit in der Psychiatrie einen hohen emotionalen Mehrwert bringt. Denn hier sind die Wurzeln unserer Vorfahren und unserer Identität zu finden. Und diese erfüllen uns mit Demut und Dankbarkeit.»

Zur Psychiatrie im Besonderen. Clienia ist mittlerweile die grösste Privatklinikgruppe in der Schweiz. Was sind Ihre Ziele für die unmittelbare Zukunft des Unternehmens?

Michael Schumacher: «Wir wollen weiterhin führend in der Psychiatrie und Psychotherapie bleiben. Man darf nicht vergessen, dass wir als Unternehmen einen wichtigen Beitrag zur Volksgesundheit leisten. Gesunde Menschen sind die Basis einer resilienten Gesellschaft.»

David J. Bosshard: «Hinzu kommt, dass die volkswirtschaftlichen Auswirkungen von psychischen Krankheiten enorm hoch sind. Die Kosten belaufen sich jedes Jahr auf über 21 Milliarden Franken – das sind 3,5% des Schweizer Bruttoinlandprodukts. Jedes Jahr sind rund ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung von einer psychischen Erkrankung betroffen. Besonders besorgniserregend ist die Zunahme bei Kindern und Jugendlichen. Unser Familien- und Geschäftsmodell wird sich diesen Herausforderungen weiterhin stellen.»

Michael Schumacher: «Dies sind auch die Gründe, weshalb es unser vordinglichstes Ziel ist, den Vollversorgungsauftrag zu gewährleisten und diesen zu stabilisieren, den wir als Privatklinikgruppe wahrnehmen. Darüber hinaus versuchen wir die Marktentwicklung zu antizipieren. Zum Beispiel mit dem Neubau einer Privatklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Oetwil am See. Dieser sensible Bereich liegt uns besonders am Herzen und gehört darum seit vielen Jahren zu unseren Kernkompetenzen.»

Was sind Ihre strategischen Leitlinien, um die unternehmerischen Ziele zu erreichen?

David J. Bosshard: «Wir wollen unsere Gruppe im Sinne unserer Versorgungsaufträge weiter ausbauen und dabei die Skalenvorteile nutzen. Wir fördern konsequent das Zusatzversicherungsgeschäft. Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle die Bedeutung unserer Mitarbeitenden. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels werden wir weiterhin in die Aus- und Weiterbildung und in eine wertschätzende Unternehmenskultur investieren. Auch das Wachstum bleibt ein Thema. Allianzen und Akquisitionen sind möglich, ja sogar erwünscht, sofern diese einen nachhaltigen Mehrwert generieren und mit der Eignerstrategie kompatibel sind.»

«Allianzen und Akquisitionen sind möglich und sogar erwünscht, sofern diese einen nachhaltigen Mehrwert generieren.»

Michael Schumacher: «Die Stabilisierung des Unternehmens sichern wir zudem mit unserem zweiten strategischen Standbein ab – den Hinderer Liegenschaften. Das Unternehmen führen wir so, dass wir sowohl mit den Gesundheits- und Sozialbauten als auch mit unseren Wohnbauten mindestens eine branchenübliche Marge erwirtschaften. Die Liegenschaften sind so gesehen also doppelt nachhaltig.»

Wie ist dies zu verstehen?

Michael Schumacher: «Einerseits wegen der Absicherung von Clienia und andererseits wegen der Art und Weise, wie wir die Hinderer Liegenschaften führen. Seit vielen Jahren gestalten wir die Entwicklung der Immobilien nachhaltig, schützen und pflegen Erhaltenswürdiges und bauen Neues umsichtig und verantwortungsvoll. Das sieht man zum Beispiel am Ortsbild von Oetwil am See. Unsere Liegenschaften leisten dort für viele Menschen einen Beitrag zu mehr Lebensqualität und Wohlbefinden.»

«Unsere Liegenschaften leisten für viele Menschen einen Beitrag zu mehr Lebensqualität und Wohlbefinden.»

David J. Bosshard: «Nachhaltigkeit lebt von Taten. Darum setzen wir bei der Energieversorgung konsequent auf CO2-neutrale Fernwärme aus Holz-Schnitzeln, auf Fotovoltaik-Anlagen auf Dächern und auf Wärmerückgewinnung aus Abwasser. Sowohl bei Umbauten als auch bei Neubauprojekten wählen wir unsere Baustoffe und -materialien nicht nur aufgrund von Ästhetik und Kosten aus, sondern auch aufgrund der Langlebigkeit und Funktionalität.»

Nachhaltigkeit ist bei Hinderer also nicht nur eine Frage der Familienzugehörigkeit, sondern auch ein Gebot der Umwelt- und Ressourcenschonung.

Michael Schumacher: «Ja genau. Beides sind verbindliche Werte in unserem Familienunternehmen, die bleiben sollen. Wir sind uns bewusst, dass uns über all die Generationen hinweg neben inspirierten, weitsichtigen und engagierten Familienmitgliedern auch immer die notwendige Portion Glück begleitete. Das ist etwas, das wir auch der 6. Generation von Herzen wünschen.»

Vielen Dank, Herr Bosshard und Herr Schumacher, für dieses Gespräch.