«Offenbar gab es zur selben Zeit zwei visionäre Gründerväter, die ihre Wissbegierde und Schaffenskraft in den Dienst von psychisch erkrankten Menschen stellten.»

Herr Hans Schwyn, Ihre Familienchronik liest sich ähnlich wie diejenige der Familie Hinderer. Fast scheint es so, also ob eine einzigartige Geschichte um die Gründung und Führung einer psychiatrischen Klinik gleich zweimal geschrieben wurde – einmal in Oetwil am See und einmal in Littenheid.

Hans Schwyn: «Das sehe ich genauso. Offenbar gab es zur selben Zeit zwei visionäre Gründerväter, die ihre Wissbegierde und Schaffenskraft in den Dienst von psychisch erkrankten Menschen stellten und die nicht unweit voneinander entfernt je einen Zufluchtsort schufen, wo diese Menschen mit Aufopferung und Hingabe betreut wurden.» 

Lassen Sie uns gemeinsam eine Zeitreise in die Vergangenheit machen. Erzählen Sie uns bitte, wie diese Erfolgsgeschichte vor über 125 Jahren in Littenheid begann.

Hans Schwyn: «Sehr gerne! Das erste Kapitel unserer Familiengeschichte schrieb mein Urgrossonkel Johann Jakob Uehlinger-Schwyn gemeinsam mit meiner Urgrosstante Marie. Sie übernahmen 1897 vom Irrenwärter Jean Jakob Delaprez ein Altersheim in Littenheid. Dieses haben sie ins «Asyl Littenheid» umgewandelt – einer Heimstätte für ältere Menschen und Obdachlose. 1910 engagierte Johann Jakob Uehlinger-Schwyn seinen Neffen Jean Schwyn und dessen Frau Elise als Verwalterehepaar – also meinen Grossvater und meine Grossmutter. Sie führten gemeinsam das Asyl, wobei meine Grossmutter als erste Oberschwester die Pflege und Betreuung der rund 300 psychisch Kranken und Beeinträchtigten übernahm.»

«Meine Grossmutter übernahm als erste Oberschwester die Pflege und Betreuung der rund 300 psychisch Kranken und Beeinträchtigten.»

Eine Klinik mit 300 Patienten scheint mir eine enorme Herausforderung. Wie haben Ihre Grosseltern diese Mammutaufgabe gemeistert?

Hans Schwyn: «1917 erwarben mein Grossvater und sein Bruder Heinrich den Betrieb mit bereits 350 Patienten und führten es als «Asyl Littenheid - Gebrüder Schwyn» weiter. Heinrich entschied sich in der Folge, ein Medizinstudium zu absolvieren, das er mit Bravour bestand. Er wurde der erste festangestellte Chefarzt der «Heil- und Pflegeanstalt Littenheid» und arbeitete bis zu seinem Tod im Jahr 1943 in der Anstalt.»

Mitten im ersten Weltkrieg haben Ihr Grossvater und Grossonkel die Heilanstalt übernommen und mitten im zweiten Weltkrieg ist Ihr Grossonkel gestorben. Das war bestimmt eine schwierige Zeit für Ihren Grossvater?

Hans Schwyn: «Das kann man wohl sagen! In weiser Voraussicht hat mein Grossvater meinen Vater frühzeitig in die Arbeit der Heilanstalt integriert und ihm alles Wissenswerte über die Führung einer Anstalt und die Pflege von Patienten mit auf den weiteren Lebensweg gegeben. Nach dem Tod meines Grossvaters im Jahr 1950 übernahmen meine Eltern Hans und Hanna Schwyn-Müller die Anstalt. Gemeinsam führten sie diese bis 1996, also während fast 50 Jahren, und prägten das Unternehmen nachhaltig. Aus der Nervenheilanstalt wurde dank ihrer Weitsicht und ihres Engagements eine moderne psychiatrische Klinik für Patientinnen und Patienten jeden Alters.

«Meine Eltern führten das Unternehmen gemeinsam bis 1996, also während fast 50 Jahren, und prägten das Unternehmen nachhaltig.»

Ihre Eltern waren demnach die 3. Generation im Unternehmen und Sie die 4. Wann haben Sie die Klinik übernommen?

Hans Schwyn: «Ich trat 1983 in die Klinik ein und war zu Beginn für wechselnde Bereiche der Klinik zuständig. Ab 1991 war ich für die operative Leitung des Klinikbetriebes zuständig und bildete mit dem Chefarzt Dr. med. Markus Binswanger und dem Leiter Pflegedienst Urs Zürcher die Klinikleitung. Littenheid war immer eine sehr innovative Klinik – zum Beispiel eröffneten wir 1995 die erste Jugendpsychiatrische Station. Meine Frau Marianne arbeitete bis zum Verkauf in verschiedenen Funktionen mit, u.a. organisierte sie viele Klinikfeste sowie kulturelle und künstlerische Anlässe mit überregionaler Ausstrahlung.

Wir investierten in zahlreiche neue Gebäude und Stationen und vor allem in kompetente Mitarbeitende. Da sich familienintern keine Nachfolgelösung abzeichnete, befassten wir uns schon früh mit der Frage, wie es nach uns weiter gehen könnte.

Das heisst, dass in Littenheid keine Stabsübergabe innerhalb der Familie möglich war und Sie sich für die Nachfolgeregelung etwas Besonders einfallen lassen mussten?

Hans Schwyn: «In der Tat. Gemeinsam mit dem VR der Klinik und der Immobilienfirma in Littenheid entwickelten wir mögliche Szenarien für das Weiterbestehen unseres Unternehmens. Dabei wurde folgendes Vorgehen angedacht: Erstens mein Rückzug aus der operativen Leitung und Verbleib im VR-Präsidium. Und zweitens die Suche nach einer breiteren Trägerschaft in Ergänzung zur Familien AG oder ein Verkauf der Klinik und der klinikeigenen Liegenschaften.»

Und wie eine Fügung des Schicksals kam die richtige Anfrage genau zum richtigen Zeitpunkt?

Hans Schwyn: «Die Anfrage der Privatklinik Schlössli in Oetwil am See war für uns ein Glücksfall. Beide Unternehmen hatten eine ähnliche Firmengeschichte hinter sich, beide wurden seit Generationen von Familien geprägt und beide waren im selben klinischen Umfeld tätig, ohne sich zu konkurrieren. Zudem kannte man sich durch den langjährigen Betrieb einer gemeinsamen Krankenpflegeschule mit anderen Kliniken in Zürich. Die Idee von Erwin R. Griesshammer und David J. Bosshard, die beiden Unternehmen zur Privatklinikgruppe Clienia zusammenzuführen, war überzeugend und erfüllte mich mit grosser Genugtuung. Die Lösung fand die Akzeptanz der vielen Vertragskantone und der Mitarbeitenden, was mir ein grosses persönliches Anliegen war.»

«Die Idee, die beiden Unternehmen zur Privatklinikgruppe Clienia zusammenzuführen, war überzeugend und erfüllte mich mit grosser Genugtuung.»

War dies das Happy End Ihrer langen Karriere im Gesundheitswesen?

Hans Schwyn: «Mitnichten (schmunzelt). Nach der Gründung der Privatklinikgruppe Clienia im Jahr 2008 führte ich die Clienia-Gruppe bis im Mai 2015 als CEO. Ich konnte die Integration der beiden Unternehmen in die gemeinsame Gruppe begleiten und vollziehen.

Das ist höchst erfreulich. Sind Sie heute noch in irgendeiner Form verbunden mit der Psychiatrie im Allgemeinen und mit Littenheid im Besonderen?

Hans Schwyn: «Ja, und zwar sowohl als auch! Gemeinsam mit meiner Frau haben wir die «Hans und Marianne Schwyn-Stiftung» ins Leben gerufen. Sie unterstützt Projekte mit dem Schwerpunkt Psychiatrie und Psychotherapie, speziell Forschungsprojekte der medizinischen Fakultät der Universität Zürich. Und mit Littenheid bleiben wir dank der Schwyn-Immobilien AG eng verbunden. Unter diesem Dach sind alle nicht kliniknotwendigen Liegenschaften und die Landwirtschaft vereint. Wir realisieren verschiedene Neubauprojekte, aber auch Renovation der bestehenden Immobilien, für die ich heute nicht nur die nötige Zeit habe, sondern sie mir auch gerne nehme – eine Win-Win-Situation also wie sie im Buche steht.»

Vielen Dank Herr Schwyn für dieses Gespräch.